Zusammenfassung 26.06.2021

Podiums-Diskussion: Das Los in der Demokratie

Große Teile dieser Zusammenfassung sind als Gedächnisprotokoll entstanden, weil unser Moderator den Mitschnitt dankenswerter Weise sofort beendet hat, als die Aufzeichnung eine Verunsicherung von Beteiligten auslöste. Daher hat die Veröffentlichung des Resümees etwas länger gedauert als erhofft.

Bürgerräte sind weder Abkürzung noch Allheilmittel für die Demokratie. Sie können aber ein Werkzeug in einem umfassenderen Werkzeugkasten zur Erweiterung der Demokratie sein.

Eine vollständige Repräsentativität wird auch mit Bürgerräten nicht erreicht, aber vielleicht eine Verbesserung von 10-20% auf 60-80%. Darauf kommt es aber auch nicht so sehr an. Wichtig ist vor allem, dass das Los Menschen mit ganz unterschiedlichen Sichtweisen zusammenbringt und eine konstruktive Diskussion ermöglicht, die nicht von Kampf und Prestige geprägt ist. Dies ist auch eine Atmosphäre, die Populist:innen nicht in die Karten spielt, im Gegensatz zu dem, was diese sich ursprünglich von dem Instrument erhofft hatten.

Da Bürgerräte die Diskussion in der Bevölkerung nicht ersetzen können, taugen sie nicht als Abkürzung für die Demokratie. Eine solche Debatte kann allerdings eine auf den Bürgerrat folgende Volksabstimmung begünstigen.

Transparenz wird für Bürgerräte nicht unbedingt als förderlich angesehen. Durch den Ausschluss der Öffentlichkeit wird dieser natürlich eine Möglichkeit vorenthalten, sich auch mit dem Thema zu beschäftigen. Die Diskussion in Kleingruppen wird gerade durch den Ausschluss der Öffentlichkeit intim und fruchtbar. Dieses Umfeld ermöglicht es aber im Gegensatz zu einer öffentlichen Diskussion, wie einer Podiumsdiskussion, den Teilnehmer:innen, ihre Meinung zu ändern, sich aufeinander einzulassen. Niemand muss hier seine Meinung verteidigen, um das Gesicht zu wahren.

Dies erleichtert auch den Umgang mit destruktivem Verhalten, das hier eher ins Leere läuft. Eine breite Beteiligung großer Bevölkerungskreise bis hin zu einem Arrangement, wo Partizipation ganz natürlich zum Leben gehört, würde also eine große Zahl an Bürgerräten erfordern. Dies wäre allerdings sehr teuer und aufwändig. Die Gesellschaft muss folglich die Frage beantworten, wie viel ihr die Partizipation wert ist.

Auch wenn das persönliche Gespräch in Präsenz durch nichts zu ersetzen ist bieten sich nach den erzwungenen online-Erfahrungen in der Corona-Pandemie auch hybride Formate an, bei denen ein Teil der Veranstaltungen online stattfindet, was manchen Menschen auch die Teilnahme erleichtert.

Ideen zum Losen in der Demokratie

Die Veranstalter:innen nutzten die Form von Kurzvorträgen, um auf das Losen im Programm ihrer jeweiligen Organisation einzugehen. Dabei zeigte sich eine erstaunliche Bandbreite an verschiedenen Ansätzen.

Das Parteiprogramm von Demokratie in Bewegung setzt sich aus von der Basis eingebrachten Initiativen zusammen. Eine solche Initiative fordert die verbindliche Ergänzung des Gesetzgebungsprozesses um geloste Bürger:innenkammern mit Veto-Kompetenz, die im Parlament mit weniger als 2/3 Mehrheit beschlossene neue Gesetzesvorhaben bestätigen müssen. Durch die Beteiligung von Bürger:innen soll das Vertrauen in den demokratischen Prozess gestärkt werden.

Die Freiparlamentarische Allianz (FPA) beschäftigt sich vor allem mit Fragen der demokratischen Legitimität. Hier wird im Bereich des passiven Wahlrechts im derzeitigen System mangelnde Chancengleichheit und eine Tendenz zur Elitenbildung wahrgenommen. Um dem in der eigenen Partei entgegenzuwirken, will die FPA ab einer bestimmten Größe 20% ihrer Vorstandsmitglieder auslosen.

Die Partei denkt auch über Bürgerräte nach. Die Mitglieder stellen sich auch der Frage, wie man die Repräsentativität in Kinder- und Jugendparlamenten, einem der Kernanliegen der Partei, verbessern kann.

Für G!lt sind Bürgerbeteiligung und Bürgerparlamente ein Kernanliegen. Für die Besetzung der Ämter im eigenen Verein testet G!lt eine vereinfachte Version des Verfahrens, mit dem im Venedig des 16. Jahrhunderts der Doge gewählt wurde. Es handelte sich dort um ein kompliziertes mehrstufiges Verfahren, bei dem sich Wahlen und Losen abwechselten. Immer wieder wurden Kandidaten dazu genommen und andere schieden aus. Dieses Verfahren wird bei G!lt auf eine einfachere Variante heruntergebrochen, bei der ein gelostes Wahlkomitee Vorschläge macht. Die Vereinsmitglieder werden dann zu diesen Vorschlägen zur Akklamation gerufen, bei der eine hohe Hürde von maximal 20% Widerstand angelegt wird.

Auch für G!lt ist aber klar, dass Bürgerräte und Bürgerparlamente kein auf lange Sicht gelostes Gremium sind, sondern für kurzfristige Aufgaben jeweils neu zusammengesetzt werden.

Die Selbstbestimmten Demokraten haben sich als Kernanliegen Wahlkreisparlamente auf die Fahnen geschrieben. Diese beruhen auf Freiwilligkeit, also auf dem Engagement der interessierten Bürger:innen. Das Los spielt daher hier nur am Rand eine Rolle.

Eines der Kernanliegen der Wahlkreisparlamente ist es, den Parteien Vorschläge über geeignete Kandidat:innen zu machen. Um die vorgeschlagenen Wahlkreiskandidat:innen auf einer Liste zu platzieren, wird auch hier das Los bevorzugt, um Postengeschacher vorzubeugen.

Außerdem sollen Wahlkreisparlamente auch anstehende politische Themen diskutieren. Um hier aus den zahlreichen Gesetzesvorhaben, die der Bundestag Jahr für Jahr bearbeitet, eine Auswahl zu treffen, soll eine geloste Gruppe entscheiden, was wichtig genug ist, um im Wahlkreisparlament diskutiert zu werden.

Außerdem können sich die Selbstbestimmten Demokraten Bürgerräte vorstellen, die den Bürger:innen für Volksentscheide Abstimmungs-empfehlungen an die Hand geben.

Mit Ortlieb Fliedner kam bei der Veranstaltung auch ein erklärter Kritiker der Bürgerräte zu Wort. Als Verbesserung der Demokratie taugten Bürgerräte nicht, da sie kein Engagement fördern. Da man sich in Bürgerräte nicht von sich aus einbringen kann, können dadurch keine engagierten Demokrat:innen gewonnen werden, die aber unerlässlich für eine stabile Demokratie sind. Grundsätzlich sieht er die Notwendigkeit politischer Bildung um die Demokratie zu stabilisieren. Hier würde das Geld besser ausgegeben, statt für die Durchführung von Bürgerräten.

Da es keinen einheitlichen Volkswillen gibt und dies außerdem ein gefährlich populistisches Konzept ist, müssen in einer pluralistischen Demokratie Mehrheiten gefunden werden. Demokratisches Engagement besteht darin, dafür zu kämpfen, dass die eigene Meinung mehrheitsfähig wird. Die Pluralität der Meinungen auch innerhalb der Parteien sollte durch umfassende Transparenz auch sichtbar gemacht werden.

Mit der Beeinflussbarkeit der Bürgerräte durch die nötigen Moderator:innen und Expert:innen sprach Herr Fliedner auch ein Thema an, das grundsätzlich auch von vielen Befürworter:innen des Losverfahrens als mögliches Problem gesehen wird.

Diskussion

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass sehr, sehr unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, was Demokratie eigentlich sein soll und was sie ausmacht. Zentrale Begriffe wie “politische Verantwortung” werden mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen belegt.

Die Teilnehmer teilten sich nach den Vorträgen für einen vertiefende Diskussion in zwei Gruppen auf und kamen nach der Workshop-Phase wieder zusammen um die Ergebnisse ihren jeweiligen Fragestellungen vorzustellen.

Wie kann die Verbindlichkeit der Bürgerräte gesteigert werden? war das Thema der ersten Gruppe.

Eine gesetzliche Verankerung mit verbindlicher Entscheidungskompetenz wird derzeit nicht erwartet. Daher sehen die Teilnehmer:innen eher das Gewissen einzelner Abgeordneter in der Pflicht, die Ergebnisse eines Bürgerrates weiterzutragen und zu berücksichtigen.

Wie kann man Losen in das aktuelle politische System einbinden? beschäftigte die zweite Gruppe im Workshop.

Dazu wurden auch andere potentielle Einsatzmöglichkeiten für das Los neben Bürgerräten erörtert. So wurde die Idee eingebracht, geloste Beobachter:innen in den Bundestag zu entsenden. Außerdem könnten Parteien gesetzlich verpflichtet werden, einen Teil ihrer Listenplätze auszulosen. Auch in anderen Bereichen könnte aus einem Pool fachlich qualifizierter Anwärter:innen, z.B. bei Richter:innen oder in der Verwaltung, ausgelost werden, um durch den Zufall die Möglichkeiten zur Einflussnahme einzuschränken.

Wie kann man Demokratie anders denken?

Ein immer wieder auftauchender Punkt in den Diskussionen war die Rolle von Mehrheitsentscheidungen in der Demokratie. Diese bewirken ein geschlossenes Auftreten z.B. einer Fraktion, um eine intern getroffene Entscheidung auch im Parlament durchsetzen zu können.

Es wurde allerdings die Frage gestellt, ob Mehrheitsentscheidungen tatsächlich Wesenskern der Demokratie sind oder ob es nicht sinnvoller wäre, einen Konsens anzustreben. Im Unterschied zur Durchsetzung des Mehrheitswillens wird dabei die Lösung angestrebt, mit der die meisten leben können. Dafür wären geloste Gremien sehr gut geeignet, weil sich die Suche nach diesen Lösungen in solchen Konstellationen eher von selbst aufdrängt.

Die Frage, wer Entscheidungsträger:in in einer Demokratie sein solle, ob sie eher kompetent und durch eine Wahl legitimiert oder repräsentativ für das Wahlvolk sein sollten, wird auch nicht von jedem gleich beantwortet. Sicher ist: Beides ist nicht gleichzeitig zu haben! Und sicher ist: In beiden Fällen muss externes Fachwissen beigeholt werden. Einem ausgelosten Gremium kann man aber wenigstens unterstellen, weniger von parteipolitischen Interessen geleitet zu sein, was das Vertrauen stärken sollte.

Demokratie braucht bürgerschaftliches Engagement. Zur Rettung der Demokratie ist daher die Frage zu beantworten, warum die Bereitschaft sich politisch zu engagieren sinkt. Ist es einfach nur mangelnde Bildung, oder gibt es Strukturen, die den Einsatz für die Demokratie erschweren? Und haben die ihre Wurzeln in der Art, wie wir Demokratie denken?


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